Verfasst von: Johannes | Februar 27, 2008

Ein halbes Jahr nun schon in Argentinien!

Liebe Familie/Spender/Freunde!

Nach geraumer Zeit wieder ein Lebenszeichen aus der 12000 km entfernten neuen Heimat:

Ein Gesetz in Argentinien von 2007, das beinhaltet, dass keine Kinder mehr rund um die Uhr im Heim leben dürfen, bereitet meinem Projekt hier viele Sorgen:

So trafen sich letzte Woche Vertreter von der Kirche und des Heims, um die Frage zu diskutieren, ob das Heim nun geschlossen werden soll oder nicht! Das war für mich ein großer Schock, denn ich hatte davor die Tragweite nicht erahnen können.Fakt ist: Es arbeiten hier neben unserem Chef fünf Angestellte, und das für 16 Kinder und die Landwirtschaft. Dieses Konzept ging nicht mehr auf. Es waren viele Optionen möglich: Mitarbeiter entlassen, Heim schließen oder das Heim als Kindertagesstätte vergrößern,…! Für uns Volontäre war der ganze Prozess so nicht erkennbar gewesen, denn viele Dinge hatten sich langsam angebahnt und haben schon vor unserer Zeit begonnen.

Letztendlich wurde beschlossen, dass das Heim am 1. März (4 Wochen später als geplant) öffnen soll! Ich bin sehr froh über diese Entscheidung! Alle Angestellten bleiben, und es sollen wesentlich mehr Kinder zukünftig betreut werden. Wir müssen allerdings wieder das verloren gegangene Vertrauen bei den Einwohnern in Urdinarrain erlangen.

Spenden für das Heim sind wichtiger denn je. Wer spenden will, der möge sich bitte bei mir melden, ich leite dann alles Weitere in die Wege!

Statt den geplanten vier Wochen Sommerpause sind es nun acht geworden! Das beinhaltet viel Freizeit. Jedoch muss ich hinzufügen, dass ich bei den hohen Temperaturen und dieser Luftfeuchtigkeit froh bin, nicht ständig arbeiten zu müssen. Von ein Uhr bis vier Uhr haben keine Läden offen, alles ist wie ausgestorben! Eben so, wie ich es von heißen südlichen Ländern her kenne.

In den Ferien konnte ich leider nicht viel reisen, denn meine Mutter und meine Freunde können erst zu einem späteren Zeitpunkt anreisen. Trotzdem fuhr ich mit Esteban über unsere Geburtstage (24., 25.) hinweg an die Atlantikküste in die Nähe von Mar del Plata, nach Villa Gesell. Wir konnten dort umsonst in einem Haus nahe dem Strand wohnen. Es war für mich ein besonderes Erlebnis, im Meer im Januar baden zu können! Jeden Tag hing die Fahne mit der höchsten Gefahr am Mast, das bedeutete hohe Wellen und viel Wind! Verbunden mit einer starken Seitwärtsströmung war es doch etwas Besonderes, sich ins Wasser zu werfen.

Am 3. Januar hieß es dann: Aufbruch zum Zwischenseminar aller Volontäre der IERP (Iglesia Rio de la Plata).Nach sechs Monaten sah ich endlich wieder meine alten Freunde vom ersten Seminar in Buenos Aires. Wir fuhren 12 h mit dem Bus nach Eldorado (übersetzt „das Paradies“) in den Norden. Die Busfahrten in Argentinien sind unvorstellbar bequem; man bekommt von Kaffee bis Whisky, Kopfkissen und Decke den höchsten Komfort geliefert! Das passt irgendwie nicht in dieses Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt!

Angekommen, gab es freudige Begegnungen, denn man hatte sich viel zu erzählen! Wir waren in einem ehemaligen Internatsgebäude mit Pool, am Rande des Urwalds, untergebracht. In jener Woche diskutierten wir über unsere Erlebnisse in den Projekten, über die Zukunft, und die noch vor uns liegende Zeit. Auch über die komplexe Thematik der Armut.

Mich beschäftigt auch noch nach dem Seminar diese Thematik sehr! Was ich während des Seminars von Volontären, die speziell in Buenos Aires arbeiten, gehört habe, war für mich wirklich erschreckend:

Manche arbeiten im oder am Rande einer so genannten „Villa“ (Elendsviertel). Ein Ort an dem tägliche Gewalt und Schießereien wohl zum Alltag gehören; ein Ort an dem Vergewaltigungen und Überfälle zum Alltag gehören; ein Ort an dem Drogen und Korruption zum Alltag gehören; ein Ort an dem sich jeden Tag neue unvorstellbare Sachen abspielen: Polizisten die Drogen verkaufen, eine Mafia die Geschäfte regelt. Angst umgibt Menschen bei Tag und Nacht!

Es sind unvorstellbare menschliche Schicksale, die uns Volontäre beschäftigen. Wir hoffen, dass wir durch die vielen Erlebnisse nicht abstumpfen, sondern sensibel bleiben für die Nöte der Menschen. In jungen Jahren entdecken wir hier die Schatten einer sonst so schillernden, glänzenden Welt.

Unsere vielleicht etwas „naive“ Vorstellung, mit der wir hier einst begonnen haben zu arbeiten, lässt manchmal ein leises Ohnmachtsgefühl aufkommen. Diese Armut kann man nicht von jetzt auf nachher beseitigen. Es bedarf langer und konsequenter Arbeit und viel mitmenschlicher Bemühung.

Wenn ich zusätlich erkenne, dass der Staat Gelder kürzt und damit auch Heime geschlossen werden m ü s s e n,…!!!

Die Theodizee-Frage beschäftigt mich in diesem Zusammenhang sehr: Wo ist bei all dem denn Gott? Der transzendente Gott scheint uns doch oft so verborgen. – Und doch ist er da. Erkennbar für mich, durch die vielen kleinen Puzzlesteine, die jedes Jahr unzählige Menschen durch Spenden, aktive Mithilfe und Beistand leisten und damit etwas zum Entstehen bringen.Unsere Aufgabe wird in Deutschland auch mit darin bestehen, gerade über diese Erlebnisse zu berichten.

An dieser Stelle möchte ich mich bei dem Gustav-Adolf-Werk und meinem Spenderkreis bedanken, dass sie mir ermöglicht haben, so vielfältige Lebenserfahrungen hier machen zu können.

Bedanken möchte ich mich auch bei Jorge und Günther Kreher, die uns hier in Argentinien bestens begleiten und mit ihrer großen Hilfsbereitschaft zum Gelingen beitragen.

Eine Exkursion war das absolute Highlight des Seminars: Die Fahrt zu den berühmten Iguazu Wasserfällen!

Diese kann man aufgrund ihrer Größe sowohl in Brasilien wie auch in Argentinien bestaunen. Es gab an diesem Tag zwei Gruppen. Eine Gruppe, die sich nur auf argentinischen Pfaden den Fällen nähern wollte. Die andere Gruppe wollte die Wasserfälle sowohl auf der argentinischen, wie auch von der brasilianischen Seite aus erleben. Ich war bei der letzteren Gruppe, denn ich und einige andere mussten dringend wieder unser Touristenvisum verlängern lassen, das eben immer nur drei Monate gültig ist.

So erlebten wir gleich zu Beginn eine irre Taxifahrt. Acht Personen und der Fahrer in einem normalen Pkw fuhren über die brasilianische Grenze. Der Taxifahrer machte daraus ein Spiel. Er wusste, sein Auto hatte getönte Scheiben. Immer, wenn wir an einer Polizeikontrolle vorbeifuhren, die es relativ zahlreich gibt,J, machte er die Scheiben hoch, dann wieder herunter, hoch..

Die brasilianische Seite ist von den Wasserfällen eher weiter entfernt. Man hat allerdings einen wunderbaren Panoramablick. Leider waren wir nicht die einzigen, denn viele Touristen wollten ebenso das Naturschauspiel bestaunen. Auch begegneten wir gewitzten Nasenbären, die schon das eine oder andere gestohlen haben :-)! Gegen Mittag sind wir dann auf die argentinische Seite gegangen. Sie war für mich weitaus beeindruckender: Unglaubliche Nähe zu dem tosenden Naturwunder.

Erschöpft von den vielen Eindrücken und den endlosen Wegen ging es dann wieder in unsere Herberge. Es war ein klasse Tag, den wir immer in besonderer Erinnerung tragen werden.

Überhaupt ist der Nordosten von Argentinien wunderschön: Rote Erde, verbunden mit einer unglaublichen Vegetation. Überall sieht man Hügel und Urwald. Neben den vielen Tieren gibt es eine tolle Vielfalt an Früchten: Orangen, Limetten, Melonen, Bananen. Für mich war es ein Paradies!

Nun, wieder zurück in Urdinarrain, wollen wir mit neuer Motivation in das nächste halbe Jahr starten!

Viele liebe und sonnige Grüße,

Johannes!

Verfasst von: Johannes | Dezember 24, 2007

Frohe Weihnachten!

Liebe Spender, Familie und Freunde!

 

Die letzten Wochen waren sehr ereignisreich. Ich schreibe gerade schon einen Bericht, der in der nächsten Woche erscheinen wird.

Ein kleiner Rückblick von der Weihnachtszeit:

Inzwischen ist meine Freizeit merklich geschrumpft: Jeden Nachmittag um ca. 16 Uhr, wenn wir die letzten Kinder nach Hause bringen, beginnen die Hobbys für mich hier in Urdinarrain: Sprachunterricht, Chor, Basketball, Fitnessstudio füllen die Abende restlos aus. Ich lerne immer mehr Menschen kennen, interessante Begegnungen, die das spanische Sprachvermögen manchmal doch voll ausnutzen, beispielsweise musste ich über den Kapitalismus – Sozialismus und Atheismus diskutieren! Das ist doch manchmal eine sehr lustige Angelegenheit, denn hier werden sehr viel mehr Gestiken benutzt! Da gerät manchmal selbst das Fahrradfahren in den Hintergrund…

Seit vier Wochen habe ich mit den Kindern einen Chor begonnen. Das ist bis jetzt ein riesiger Erfolg:

Wir haben in der Weihnachtszeit schon fünf Mal bei Festen mit sehr vielen Leuten (200-300) gesungen! Seit zwei Wochen macht auch einer meiner besten Freunde hier, Esteban, der hochmusikalische Pianist, mit! Das ist eine wunderbare Sache, wir beide sitzen dann vor den Kindern, er mit Gitarre, ich erlerne gerade Grundkenntnisse der Gitarre auch – muss man ja fast in diesem Land ;-), und leiten den Chor! Alle Kinder haben ein Instrument und singen mit Mikrophonen! Die für mich beachtlichste Tatsache ist, dass die Kinder, wenn wir mit dem „Camioneta“(Pickup) fahren, mit Freuden die erlernten Lieder singen! Wer hätte das gedacht… Das ist großartig!

Im kommenden Jahr werde ich versuchen das Projekt weiter auszubauen und den Kids die Vielseitig- und Einzigartigkeit der Musik aus der ganzen Welt aufzuzeigen und sie beispielsweise dazu malen lasse… Mit Spendengeldern wollen wir Instrumente kaufen und Ihnen dann Unterricht geben! Zusätzlich will ich beginnen das Fach Englisch zu unterrichten.

Sehr gefreut hat mich auch letzte Woche das Jahresabschlussfest vom Kirchenchor! Sie müssen sich den Unterschied vorstellen, dort beginnen die Proben mit 60-75 Jährigen um 22.00 Uhr!!! Um 12 Uhr wurde dann gefestet und gegessen. Wie immer wurde ausführlichst gebetet und die Leute haben sich alle bei mir, „Juan el violonista“, wirklich aus dem Herzen bedankt, und spontan ein Lied für mich umgedichtet, das hat mich sehr gefreut!

Am Freitag war der letzte Arbeitstag mit den Kindern, nun beginnen die langersehnten Sommerferien: Dieser Tag war toll, denn Hendrick, Adrian, andere Mithelfer und ich backten mit den Kindern vom Heim und mit Schülern aus der Grundschule „deutsche Weihnachtsplätzchen“! Neben dem immensen Gasofen war es wie in einer Sauna. Den Kindern hat es aber sehr viel Spaß gemacht und die Plätzchen waren wirklich lecker. Fernab von Oma`s Weihnachtsgebäck war es doch sehr Willkommen für uns Volontäre! Für alle Beteiligten habe ich dann noch einen Vortrag über Deutschland gehalten. Zum ersten Mal in meinem Leben, musste ich über mein Heimatland referieren, das recherchieren war denkbar einfach, jedoch was auswählen bei diesen vielen tollen Städten, Sehenswürdigkeiten,… Die Kinder staunten nicht schlecht über Neuschwanstein, etc!

Da Reinaldo, der Hausmeister vom Hogar seit gestern 14 Tage Urlaub hat, müssen wir nun jeden morgen um acht Uhr melken! Das ist doch hin und wieder eine Tortur…

In der gesamten Zeit kam nur wenig Weihnachtsstimmung auf:

Weihnachtsmärkte, Schnee, echte Tannen, Krippe, Glühwein, fröhliches Beisammensein der Familie: Das waren bislang meine Gedanken, wenn ich an Weihnachten gedacht habe. Diese sind der genaue Gegensatz von dem, was ich hier erleben darf: Letzte Woche wurde in der vorweihnachtlichen Zeit 70 Hühner und 10 Ferkel geschlachtet; und das Ganze bei einer immensen Hitze von mehr als 30 Grad. Ich hielt mich bei der Schlachterei aber zurück, Hendrick hat viel mitgeholfen, ich habe andere Arbeiten derweil erledigt.

Die Adventszeit wurde beiläufig nur an den Sonntagen bemerkt. Adventskränze, die diese Zeit symbolisieren gibt es hier nicht. Die Kerzen würden sich aber auch verbiegen…

Die ganzen Unterschiede gipfeln darin, wenn die Leute hier Kunstschnee dekorieren. Oder ich muss immer wieder lachen, wenn der Chor bei diesem Klima an Heiligabend im Gottesdienst „Leise rieselt der Schnee“ singen wird. Die Macht der Tradition…

Doch bei diesen vielen Unterschieden wird mir tagtäglich aufs Neue bewusste, welch besonderes Jahr ich erleben darf. Ich genieße es, beobachten zu können, aber auch zu lernen. So war ich letzte Woche bei einem Krippenspiel im Armenviertel, die ganzen Eindrücke habe ich erst einmal verarbeiten müssen: Das Spiel war wunderbar inszeniert worden, im Gegensatz zu den anderen, die ich hier bislang erlebt habe! Mit Pferden, Schafen, einem „echten“ Jesuskind, vielen Tänzen wurde die Weihnachtsgeschichte nachgespielt. Es war so ganz gegensätzlich, auf der einen Seite die Perspektivlosigkeit, mit der ich tagtäglich konfrontiert werde und aber andererseits die Freude beispielsweise am Krippenspiel. Ich habe mit vielen Menschen dort gesprochen und die Ungerechtigkeit der Länder wird mir immer wieder bewusst!

Wenn Sie/Ihr Interesse haben/habt einen Beitrag gegen diese Ungerechtigkeit zu leisten, dann können sie für das Hogar hier in Urdinarrain spenden! Bei Interesse oder Fragen bin ich jederzeit über E-Mail (johannes.suesse@arcor.de) erreichbar.

Ich wünsche euch/Ihnen allen wunderschöne, besinnliche Festtage. Genießen sie diese Zeit!

Frohe Weihnachten!

Johannes

Verfasst von: Johannes | Oktober 18, 2007

The new world!

 

Hallo Ihr Lieben!

Die „neue Welt“, vor allem die neue Arbeitswelt wird so langsam zur Routine. In der letzten Zeit habe ich oft die 9. Sinfonie „The New World“ von Dvorak gehört, der mich spontan zu dem Titel inspirierte!

Die Anfangszeit war/ist für mich sehr, sehr intensiv. In den letzten Wochen bin ich absolut nicht zum Schreiben gekommen, weil ich einfach nicht viel Zeit hatte! Wir gehen hier beide um 9 Uhr nach dem Abendessen ins Bett! Hätte mir das jemand noch vor kurzer Zeit gesagt, ich hätte ihm das nicht geglaubt. Man ist hier nach einem Arbeitstag wirklich erschöpft. Zumindest am Anfang, wenn alles noch nicht Routine ist.

In den letzten Wochen ist einiges passiert:

Am 17. September war in Urdinarrain ein Fest. Ausgerichtet vom örtlichen Boca-Fanclub. Kurze Anmerkung: Fußball ist einfach DAS Thema in Argentinien. Hierbei gibt es zwei absolute Rivalen, die gleichzeitig die größten Vereine darstellen: Boca Juniors und River Plate. Beide sind in verschiedenen Vierteln in Buenos Aires beheimatet. Wenn man etwas gefragt wird, dann folgende Frage: „Bist du Boca oder River?“ Nun, wir entschieden uns für Boca Juniors.

Alle Einnahmen bei dem Fest wurden für den Hogar gespendet. Das war eine tolle Sache. Auch gab es dort eine Auktion: Adrian, Hendrik und ich ersteigerten ein originales von vielen Boca-Spielern handsigniertes Trikot! Da die Jungs hier im Hogar fast alle Anhänger des genannten Clubs sind, beschlossen wir, das Trikot in einen Rahmen zu tun und aufzuhängen. Das Erstaunen und die Freude der Kinder am nächsten Tag war natürlich riesengroß!

Am darauf folgenden Wochenende kam ich dann zum ersten Mal in den kulinarischen Hochgenuss eines brasilianischen Nationalessens! – Hier im Hogar wohnt momentan eine angehende Theologiestudentin aus Paraguay. Aufgrund eines Treffens der Kommission des Hogars bot sie sich an, brasilianisch zu kochen!
Meine Vorfreude war groß. Ich ging an diesem Abend zum ersten Mal seit sechs Wochen zum Friseur. Das allein war schon ein besonderes Highlight, denn wie sollte ich mit meinem geringen „Friseurwortschatz“ der Friseuse beibringen, wie ich es gerne hätte? Das Ganze war dann doch sehr lustig bis peinlich. Der ganze Laden nahm lebhaft Anteil und ich musste eifrig unzählige Fragen über Deutschland … beantworten!

Wieder im Hogar, war die Kommission bereits eingetroffen. Neugierig hob ich in der Küche den Kochdeckel und erschrak. Das Ganze sah aus wie „Botas“, Gummistiefel. Ich fragte danach Hendrik, der in der Küche mitgeholfen hatte, was denn da bitte drin sei. Nun, die Frage löste sich beim Essen: Fast alles vom Schwein war verwendet worden, inklusive natürlich der Ohren, dem Ringelschwanz, Haut mit Borsten… Dies nur kurz, um einmal die anderen Gewohnheiten aufzuzeigen, mit denen ich mich zu arrangieren habe!
Als Aperitif wurden zwei Krüge Caipirinha vorbereitet, aus denen dann 20 Menschen abwechselnd getrunken haben; in Deutschland wäre das nicht denkbar! Die Folge des Essens war, dass Hendrik zwei Tage „außer Gefecht“ gesetzt war!

In der darauf folgenden Woche gab es ein weiteres großes Ereignis:

Nun, da ich hier auf dem Lande lebe, in einer Kultur in der man reichlich Fleisch verspeist, beinhaltet das natürlich auch die Schlachtung von Tieren.

An diesem Tag, dem 26. September, wurde ich stürmisch um halb acht Uhr geweckt. Es ging mit leerem Magen zu einem Feld, auf dem eine Kuh ausgesucht wurde, deren Dasein in Kürze enden sollte. – Ich war wirklich erstaunt, wie so ein Innenleben einer Kuh aussieht! Insgesamt wurden zwei Kühe und zwei Schweine geschlachtet. Anschließend wurde der Hogar zum regelrechten Festgelände. Es kamen einige, vorwiegend ältere Menschen, die mithalfen, die riesigen Fleischberge zu einer argentinischen Wurstspezialität (Chorizos) zu verarbeiten.
390 Kilogramm Fleisch wurden verwurstet! Unglaublich! Ich habe soviel Wurst noch nie auf einmal gesehen. Diese wurde dann wiederum verkauft. Der Erlös kam dem Hogar zu Gute. Ich war von den zwei Schlachttagen weit weniger betroffen als ich vermutete. Vielleicht wächst man ja wirklich mit einer Aufgabe.

Am 24. September ging ich zum ersten Mal mit Vania in den örtlichen Kirchenchor. Diesen werde ich nun in Zukunft, wenn möglich, mit meiner Geige begleiten. Ich lerne dadurch viele interessante Menschen kennen..

Am Wochenende vom 29. – 31. September besuchte uns Jens aus Parana. Das war ein sehr schönes Erlebnis. Es war für mich wie Urlaub. Jens nennt seit seinem Aufenthalt bei uns unseren Hogar nur noch „Ferienressort“.

Man muss sagen, wir machen auch sehr viel aus dem Wochenende. Zum einen kochen wir uns immer selbst leckere Sachen. Da die Köchin eben nur unter der Woche Dienst hat. Zum anderen kann man in Urdi abends schon auch weggehen.
Hier gibt es eine sehr modern eingerichtete Bar, die ich eher in Buenos Aires vermutet hätte, als in unserem kleinen Städtchen. Daneben hat es eine Feld-, Wald- und Wiesendisco, die ausschließlich nur jeden Samstag geöffnet hat! Diese Disco muss man sich folgendermaßen vorstellen: Man geht um zwei Uhr nachts dorthin, denn vor dieser Uhrzeit ist absolut noch nichts los. So gegen vier Uhr, fangen dann mit den Klängen von Cumbia die Lichteffekte an. Aber dann tanzt hier jeder! Es ist wirklich total anders wie in Deutschland!
Hier verschläft man dann den folgenden Sonntag fast komplett. Unglaublich! An diesen Lebensstil wollen wir drei uns noch nicht so recht gewöhnen.

Und mittags konnten wir uns dann bei Sonnenschein und wunderbarem Wetter einfach nur erholen. Wir erzählen uns viel. Der Hogar hier eignet sich wirklich zum Treffen mit anderen Volontären. Denn hier hat es ein Gästehaus mit zehn freien Betten.

Am vergangenen Wochenende habe ich hier in Urdinarrain, am Sonntag, zum ersten Mal im Gottesdienst Geige gespielt. Das Ganze verlief ganz und gar argentinisch: Samstagabends wurde ich angerufen und gefragt, ob ich am morgigen Tage spielen könne. – Nun, ich ließ es noch offen, weil ich erst einmal in der Kirche hier war und mit dem Ablauf eines Gottesdienstes noch nicht vertraut war. Trotzdem entschloss ich mich, zu spielen. Ich übte. Fünf Minuten vor dem Gottesdienst gab es noch letzte Änderungen, sodass ich nicht das Gefühl hatte, den Ablauf zu kennen und leicht nervös war. Alles verlief aber sehr gut und die Leute haben sich gefreut.

Noch abschließend zu meinem Arbeitsalltag:
Beim Melken der Kühe befinde ich mich noch im Lernstadium. Wenn man mit dieser ungewohnten Tätigkeit nicht vertraut ist, spürt man das schon bald in den Armen… haha!
Vorgestern sollten Hendrik und ich abends die Kühe in den Stall treiben. Dabei sollten wir sehr beachten, dass die Kühe nicht durch ein Tor zum Gemüsegarten drängen. Sonst sei alles zu spät. Das heißt, das Tor schließen!
Bei uns stand es nun seltsamerweise offen. Aus der anfangs lockeren Herumtreiberei wurde Ernst. Denn plötzlich standen vier Kühe hinter dem Tor im Garten. Es wurde dann recht spannend und wir mussten mit größtem körperlichen Einsatz diese doofen Viecher wieder hinter das Tor treiben! Es ist zum Glück nichts Schlimmeres passiert. Nur etwas Gemüse wurde angefressen.

Der Computerkurs konnte diese Woche wieder gestartet werden. (Davor gab es technische Probleme.) Ich bringe den Kindern hier an einem Computer (der bei uns schon lange ausgemustert wäre) das Schreiben, Malen und den Umgang mit den Programmen bei.
Morgens läuft es hier mehr oder weniger geordnet ab. Mittags kommen die richtigen Problemkinder. Es sind zwei, die wir „Max und Moritz“ nennen, weil sie nur Unsinn im Kopf haben.

Ein Beispiel: Heute, während der Siesta, treiben die beiden sich alleine herum. Dabei scheuchen sie Vögel aus ihren Nestern. Wir mussten die Kücken mit einer Leiter in das Nest zurückbringen. Dann war Stille.
Danach nahmen die Kinder kleine Orgelflöten, die an der Wand hingen und pfiffen damit herum. Davon angelockt jammerte Napoleon, der Haushund, mit! Man muss sich das nur mal vorstellen: Die beiden Jungs stehen auf der Treppe, „Napo“ am Eingang und alles in allem ein Heidenlärm. Nachdem wir eingegriffen hatten, war erstmal wieder Ruhe und Siesta im Haus.

Es kostet sehr viel Kraft und Energie, mit den Kindern zu arbeiten. Anderes Beispiel: Ich arbeitete mit einem der beiden Jungen. (Die komplette letzte Woche, jeden Mittag.) Zur Belohnung ging ich mit ihnen und Hendrik an einem dieser Tage zu einem Teich, der voller Schildkröten war. Wir bekamen von dem Besitzer ein Geschenk: Einen Schildkrötenpanzer einer gestorbenen Schildkröte. Eigentlich was besonderes. Er war nur fünf Minuten ganz! Danach lag er zersplittert und kaputt am Boden. Einer der Jungs hatte ihn zerlegt. Danach aß er noch Pflanzen vom Boden, rannte ständig voraus… Wieder im Heim, rannte er in einer Arbeitspause zu einem Schrank und beschmierte sich in einem kurzen, unbeobachteten Moment die Hände voll schwarzer Tinte. Das hält einen wirklich auf Trab. Tatsächlich keine leichte Aufgabe! Die beiden Jungs sind unsere schwierigsten Fälle – wie wir wissen eben auch in der Schule! Wir hoffen, dass wir das immer besser mit ihnen in den Griff bekommen.

Mir gefällt es, mit den Kindern zu arbeiten. Auch die Sprachbarriere wird immer kleiner. Jedes kleine Erfolgserlebnis, das man gehabt hat, tut gut und man wird für die Mühe belohnt.

So weit weg von der Heimat , denkt man oft an die Familie und an Freunde. Dabei wird mir immer klarer, was für ein Privileg ich damit habe! Ich bin froh, einen so großen Rückhalt zu haben. Das macht mich glücklich!

Ich melde mich bald wieder. Vielen Dank für die zahlreichen neuen Einträge – echt klasse!

Viele, viele liebe Grüße

Johannes

Verfasst von: Johannes | September 15, 2007

Gut angekommen!

 

Buenos noches a todos!

Das Seminar im Isedet ging bis Sonntag. Es war wirklich toll, denn es hat unsere Gruppe zusammengeschweißt und den Abschied sehr schwer gemacht. Am Sonntag selbst waren alle bei Günter in Olivos zum Asado eingeladen. Fast 40 Freiwillige feierten bei herrlichem Wetter in seinem Garten. Noch hat offiziell der Frühling nicht angefangen, doch es hatte schon gestern 30 Grad! Das ist alles ein wenig anders hier.

Am Montag dann hieß es aufzubrechen in unsere neue Heimat, in eine neue Umgebung, in das Unbekannte. Hendrik, Adrian und ich fuhren in einem Bus von Buenos Aires nach Urdinarrain. Jens fuhr dann noch weiter nach Parana, eine Stadt ungefähr 4 Stunden von Urdinarrain entfernt. Wir trauten zu Beginn unseren Augen nicht: Der Busterminal glich einem Regionalflughafen, es gab ca. 70 Abfahrtssteige für die nationalen Busreisen. Die Beliebtheit erklärte sich uns, nachdem wir in den Bus einstiegen: Es war wie in einer Buisness Class beim Fliegen. Sehr große Beinfreiheit, bequeme Sitze, alles was das Herz begehrt!

Die erste Stunde der Reise war geprägt von unzähligen Häusern, Autos und Menschen. Danach ging es in die weite Flachebene, in der sich unser besagter Ort befand. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Man konnte von Horizont zu Horizont blicken, ohne dass ein Haus, ein Wald oder ein Gegenstand im Blickfeld stand. Wirklich unglaublich! Erst dort realisierte ich, wohin es überhaupt geht.

In Urdinarrain angekommen, holte uns Ruben Mohr, unser neuer Chef und Heimleiter ab. Er ist sehr, sehr freundlich und immer bemüht, verständlich und langsam zu reden. Wir machten eine kleine Sightseeing Tour durch die 8000 Seelen- Stadt, damit wir uns in Zukunft alleine zurechtfinden können.

Als wir danach am Hogar ankamen, machten wir zuallerst eine Erkundungstour durch unsere Wohnungen. Von außen sehen sie sehr gut aus. Innen ist das Nötigste bei mir vorhanden: Ein Bett, Schrank, Kühlschrank, kleine Kochgelegenheit und ein Bad mit einer Dusche. Diese kann ich aber leider im Moment nicht benutzen, denn der Gasofen funktioniert nicht mehr richtig, das heißt, ich könnte mit kaltem Wasser duschen. Da es aber hier die ganze Zeit seit wir ankamen nur schlechtes Wetter mit Regen gab, ist eine kalte Dusche kein adäquates Mittel. Wir werden aber das Problem in den nächsten Wochen beheben, denn wir kaufen einen neuen Heizofen.

Am Abend waren wir drei bei Ruben eingeladen. Dort erklärte er uns bei einem Gläschen Wein die Regeln, die für uns Freiwillige gelten. Er erleichtert uns das Einleben sehr, denn er kümmert sich wirklich sehr um uns. Ebenso mussten wir bisher noch nicht soviel arbeiten. Das Wichtigste ist, dass wir so schnell wie möglich Routine bekommen. Das verlangt am Anfang viel Geduld und setzt einen in die Beobachterrolle.

Am Dienstag fuhren wir dann Adrian zu seinem Einsatzort – nach San Antonio: Die Fahrt allein war schon ein einziges Erlebnis. Mit dem so genannten „Urdi-Bus“ ging es über eine einzige Matschpiste, denn nach San Antonio gibt es keine geteerte Straße. Erschwerend kam der vorher gefallene Regen hinzu. Wir nannten die Fahrt „Rally Urdinarrain“. Nach der Hälfte der Strecke hielten wir an, um einem anderen Auto zu helfen, das aus dem ganzen Matsch nicht mehr herausgekommen ist. Hier bekommt man übrigens ein völlig neues Gefühl für saubere Kleidung! Bei diesem Wetter momentan ist es egal, was man trägt: Es ist eigentlich alles schmutzig! Heute Morgen zum Beispiel hat es Ruben volle Breitseite in den Matsch geschmissen, es war sehr lustig, wie er es uns erzählte.

Es war für mich schwer, Adrian alleine in dem Ort zu lassen. Denn es gibt von dem Ort, der ca. 20 km von Urdi entfernt ist, keine Busverbindung, das heißt, man muss entweder trampen, mit dem Fahrrad fahren oder eine kleine Wanderung machen! Wir drei haben uns aber versprochen, uns so viel wie möglich zu treffen! Egal wie…

An diesem Dienstag gab es nichts zu tun, denn es war wieder mal ein Nationalfeiertag zu Ehren der Lehrer! In dem Heim leben momentan zwei Jugendliche. Mit diesen redeten wir und es wurde von Beginn an klar, dass wir für sie wie große Brüder sind, trotz der vorhandenen Sprachbarriere! Sie umarmten uns und nahmen Hendrik und mich freundlich auf. Erschlagen von den vielen neuen Eindrücken und Bekanntschaften gingen wir all die Tage immer sehr gern ins Bett. Unser Standartsatz ist: Soy cansado – (Ich bin müde)!

Am Mittwoch erlebten wir zum ersten Mal einen kompletten Arbeitsalltag:

Unser Tag beginnt morgens um halb acht mit einem Frühstück. Um acht Uhr fangen wir an zu arbeiten. Um 12 Uhr gibt es dann Mittagessen, von ein Uhr bis um fünf gehen die Kids in die Schule. Nach dem Mittagessen ganz wichtig, nicht zu vergessen, machen wir immer eine Siesta. Nach dieser Pause arbeitet man wieder bis es die so genannte Merienda gibt, eine Zwischenmahlzeit: Danach wird noch gelernt, gespielt…, bis die anderen außer den zweien nach Hause gehen. Um acht Uhr gibt es dann das Abendessen. Hier gibt es wirklich vier Mahlzeiten und diese gleichen unseren in Europa. Die Köchin kocht sehr gut, so dass mein Ziel, endlich mal von meinem blöden T2-Status wegzukommen, in weite Fernen gerückt ist!

Ganz lustiges Erlebnis gab es auch noch: Die erste Aufgabe von Hendrik und mir war aus drei Computern entweder ein oder zwei funktionierende zu machen. Das Ergebnis war ernüchternd: Ein Computer fing aufgrund eines Kabelbrandes an zu brennen, die anderen beiden waren irreparabel. Es flog eine riesen Rauchwolke durch das Hogar und die Köchin fragte erstaunt, ob wir das Hogar in Brand setzen wollen! Aber es war dann doch nicht so schlimm!

Gestern, am Donnerstag, war es für mich ein sehr anstrengender Tag. Die Lehrer hier im Land streikten für höhere Löhne, das hieß, dass die Schule ausfiel. Zusätzlich kam der Regen hinzu, so dass die Kinder nicht nach draußen konnten. Das war sehr schwierig, denn was macht man mit vor Power strotzenden Kinder? Hendrik spielte mit ihnen Spiele. Sonja, Rubens Frau und Lehrerin hier im Hogar und in einer normalen Schule, kümmerte sich um den Unterricht. Ich leitete zum ersten Mal einen Computerkurs, das hieß, immer zwei Kinder saßen mit Stift und Heft neben mir und ich versuchte, ihnen grundlegende Sachen, die man für den Computer braucht, zu erklären. Das war für mich sehr schön, denn die Kinder hörten gespannt zu und machten dann bei den praktischen Übungen immer mit viel Freude mit. Sobald man bei Ihnen „Computador“ sagt, glänzen ihre Augen.

Nach dem Mittagessen schauten wir zusammen mit selbst gemachtem Popcorn den Film „Cars“ an. Danach gab es dann eine zweite Spiel, Lern, – und Computerrunde. In dieser ließ ich die Kinder Bilder mit Paint malen. Da gab es schon sehr beachtliche Ergebnisse, auch bei denen, die nicht mit der Maus umgehen konnten.

Für mich war die Eingewöhnung trotzdem sehr schwer: Ich habe unsere tolle Gruppe vermisst und vermisse sie immer noch! Das war ein klasse Erlebnis in Buenos Aires, das ich nicht mehr vergessen werde!

Es war einerseits sehr anstrengend, andererseits hat es mir wirklich viel Spaß gemacht. Trotzdem kommt man immer wieder ins Grübeln. Wir holen die Kinder jeden morgen ab, man sieht die Verhältnisse, in diese sie hineingeboren werden. Es ist eine völlig andere Welt, als die unsere!

Ich werde versuchen, in diesem Jahr mit allen mir möglichen Kräften den Kindern zu helfen, um wenigstens einen kleinen Beitrag gegen diese Ungerechtigkeit zu liefern.

Mit diesen Gedanken

viele liebe Grüße, Johannes!

PS: Die Nachrichten im Gästebuch und die Mails haben mich sehr, sehr gefreut. Vielen Dank dafür, dass hilft mir sehr!

Verfasst von: Johannes | September 6, 2007

2. Eintrag

Meine Entre-Rios Connection: Adrian, Hendrik und ich. -> Adrian wird in ein Altenheim, das 20 Kilometer von mir entfernt ist, gehen. Hendrik wird mit mir in Urdinarrain im Jugendzentrum arbeiten, ich freue mich schon sehr.

Seit gestern haben wir im Isedet ein Seminar, in dem wir nochmals auf unseren Einsatz vorbereitet werden.

Gestern beschäftigten wir uns mit Kreativaufgaben, mit denen wir versuchten unsere bisherigen Eindrücke darzustellen. Die Seminare beginnen jeden morgen um 8.30 Uhr und dauern bis abends um 22.00 Uhr an. Gestern sind auch die letzten Volontäre angereist, das heißt unsere Gruppe ist nun vollständig und beinhaltet 30 Mitglieder. Es ist sehr schön nochmals vor der Einsatzstelle zusammen zu sein.

Heute morgen stand ein Besuch bei der Deutschen Botschaft in Buenos Aires an. Dort erfuhren wir Informationen über die Arbeit als Diplomat, über die einzelnen Bereiche in einer Botschaft und über die aktuelle Lage des Landes.

Die Arbeit im Auswärtigen Amt könnte ich mir auch gut vorstellen…

Zurück im Isedet, hielten Adrian und ich ein Referat über die Geschichte Argentiniens. Danach gab es noch Referate über den Peronismus, die Militärdiktaturen und natürlich was sonst, über den Fußball.

Am Abend versuchten wir nach einem Sicherheitsvortrag vergeblich einen Film (Nueva Reinas) zu schauen, doch dieser erforderte drei Laptops und schließlich nach 60 Minuten ging gar nichts mehr. Das lag wohl dann doch an der Dvd…

Buenas noches, Johannes

Ps: Hier wird es immer wärmer, gestern war es richtig schwül.

 

 

Verfasst von: Johannes | September 3, 2007

1. Eintrag

Liebe Spender, Familie, Freunde,

nun habe ich mich auch entschlossen, ebenfalls meine Erlebnisse mit einem Blog und Bildern zu dokumentieren. Ich werde diesen regelmäßig aktualisieren. Ein kleines Resumé nach zweieinhalb Wochen in meiner neuen “Heimat” Argentinien:

Zu Beginn der Reise gab es eine große Überraschung. Trotz der nur gering verfügbaren Zeit am Frankfurter Airport, haben sich meine besten Freunde Benni, Alex, Markus und Tommy aufgemacht, um mich noch die letzten Stunden zu begleiten. Für mich war es eine super Sache. Dafür nochmals vielen, vielen Dank. Ihr seid grossartig!

Der Flug war relativ stressig, da der Mann am Schalter wohl nicht kapiert hatte, dass ich am Fenster sitzen wollte. Zuerst ging es mit der Iberia von Frankfurt in zweieinhalb Stunden nach Madrid. Nach zwei Stunden Aufenthalt ging es mit gleicher Fluggesellschaft mithilfe des riesigen Airbus A340-600 von Madrid nach Buenos Aires. Dieser war leider komplett ausgebucht und ich musste in der Mitte sitzen. Das war nicht ganz so amüsant, aber nun, ich bin ja noch jung!
Nach ca. 14 Stunden wurde uns das Ausmaß von Buenos Aires bewusst. Wir flogen nachts auf die Stadt zu, es war ein einziges Lichtermeer. Da wir noch nicht landen durften und uns in der Warteschleife befanden, sahen wir auf die bis an den Horizont reichende Lichterkette. Die Stadt ist unvorstellbar groß für uns “Landbewohner”. Dazu aber später mehr.

Nach der ganzen Visumprozedur (wir konnten nun nur ein Touristenvisum beantragen, dass heißt wir müssen alle 3 Monate ausreisen) wurde unsere Gruppe, die aus insgesamt 12 Leuten vom Gustav-Adolf-Werk Württemberg (GAW) bestand, von einem Bus abgeholt. Todmüde fuhren wir in das Studentenwohnheim Isedet, dass sich in Flores, einem Viertel von Buenos Aires, befindet. Dort gab es dann eine Überraschung, denn unsere Gruppe musste aufgrund von Platzmangel aufgeteilt werden. Die Mädels blieben im Isedet, Philipp, Julian, Alex und Adrian gingen in ein anderes Studentenwohnheim und Jens, Daniel und ich gingen zu einer Gastfamilie nach Olivos.
Das war eine ganz schöne Erfahrung, die Familie hat uns sehr herzlich aufgenommen und uns den Einstieg in das argentinische Leben erleichtert.
Dort am Rio de la Plata ist es wirklich schmutzig. In Olivos besteht der “Strand” nur aus Müll. Das ist wirklich erschreckend. Einheimische, meinte Günter, mein Gastvater, gehen wohl ab und zu schon baden. Ich könnte mir sowas nicht ausmalen. Es ist für mich schlichtweg erschreckend, sowas zu sehen.

Wir hatten dann gleich am Folgetag, dem 15. August 2007, Sprachunterricht. Unsere Sprachschule befindet sich mitten im Herz von Buenos Aires, am Obelisken. Gleichzeitig soll die Hauptstrasse hier eine der größten der Welt sein. Tatsächlich ist es unglaublich, wie viele Fahrzeuge tagtäglich auf dieser Straße fahren. Man kann sich vlt. einen Eindruck mit Zahlen machen: In Buenos Aires hat es mehr als 40000 Taxis, 10000 Busse und unzählige Privatautos. Manchmal bekommt man einfach einen Hustenanfall, weil es doch eine dreckige Stadt ist. Ich bin ganz froh, keinen internationalen Führerschein zu besitzen, denn ich würde das nicht durchhalten. Also wer sich schon mal in der Rushhour in Stuttgart befunden hat, das ist hier normaler Verkehr. Es ist hier wirklich ein einziges Chaos mit dem Verkehr!
Ich dachte, dass die Italiener die schlimmsten Verkehrssünder sind, das Bild hat sich für mich hier geändert. Das kann man mit dem Wilden Westen vergleichen: Hier ist es absolut egal, wie schnell, auf welcher Spur, ob rechts oder links überholt, das ist alles völlig egal. Die Busse fahren hier teilweise auf der linken Spur und versuchen alles zu überholen. Die Hupe ist bei allem das Wichtigste! Wir mussten jeden morgen eine dreiviertel Stunde mit einem Bus fahren, das ist purer Stress. Man kommt überhaupt nicht entspannt in den Unterricht, weil das ganze Chaos einen wirklich aufwühlt. Den Unterricht habe ich heute abgeschlossen, das war alles sehr gut, die Sprachlehrerin hat sich trotz den teilweise verschlafenen Schülern sehr angestrengt.

Als wir noch bei Günter gewohnt haben, war jeden Morgen das Zug -und U-Bahnfahren ein Erlebnis. Man darf keine Platzangst in dem morgendlichen Andrang besitzen. Ich sage immer, man baut beim Zug fahren einen intimeren Kontakt mit einem in einer Minute auf, als mit einem Mitschüler in 13 Schuljahren! Wie immer war ich an einem Tag sehr spät dran und drückte mich mit aller Macht in so ein Abteil. Die Tür ging zu und klemmte meinen Rücken ein. Daraufhin umschloss mich eine Frau mit ihren Armen und zog mich mit aller Macht in den Waggon. Dort ist der beste Platz in der Mitte oder irgendwo zentral. Denn wenn eine Kurve kommt wippt die breite Masse mit. Man kann sich vorstellen, dass das für die äußeren eine ziemliche Zumutung ist. Für Taschendiebe muss so eine Zugfahrt schon ärgerlich sein, denn man steht so nah beieinander, kann aber nichts bewegen!

Manchmal muss man einfach schmunzeln oder lachen. Einmal standen wir drei bei der Heimfahrt nach Olivos in einem Abteil und unterhielten uns angeregt. Wir wurden angesprochen, woher wir kommen würden, was wir machen,… (insgesamt wird man hier sehr sehr oft angesprochen, die Einwohner sind sehr interessiert). Dann kam die Schlüsselfrage: Boca Juniors oder River Plate? Das sind die berühmten zwei rivalisierenden Stadtclubs. Da wir uns schon zuvor auf Boca einigten, brach ein lautes Stimmgewirr aus. Wir entfachten eine hitzige Fußballdiskussion, die aber ganz nett endete.
Ansonsten waren wir in Buenos Aires natürlich auch im Nachtleben unterwegs. Am Anfang war es ziemlich anstrengend, denn hier machen Diskos erst um 2 Uhr !!! auf. Man feiert dann immer bis in die Morgenstunden…
Wenn man den Rhythmus nicht gewohnt ist, fällt es einem zu Beginn sehr schwer. Es gibt wirklich sehr schöne Bars und Clubs, es macht richtig Spaß, hier weg zu gehen. Für einen Europäer ist es hier sehr billig. Beispielsweise kostet der Liter Diesel umgerechnet 45 Cent oder ein gutes Essen mit Getränk bekommt man hier für 4 Euro. Der Unterschied wird einem erst klar, wenn man kleinere Sachen mit einem 100 Peso-Schein bezahlt. Das ist umgerechnet ca. 26 Euro. In manchen Bars konnte der/die KellnerIn kein Rückgeld geben. Hier ist der Euro gerade 4.25 Peso wert! Das ist sehr hoch. Man muss dabei aber aufpassen, denn für die Einheimischen sind beispielsweise 3 Peso wie für uns 3 Euro. Das ist schon erstaunlich.

Ganz lustig: Der Einzelhandel, vorwiegend Kioskstände, blüht. In der ganzen Stadt fehlt nämlich das Kleingeld. Jeder will nicht gerne Kleingeld herausgeben, dieses benötigt man für Busfahrten, weil man dort nur mit Münzen bezahlen kann. Somit kauft man sich immer eine Kleinigkeit, um Münzen zu bekommen! – So kann man auch eine Wirtschaft ankurbeln!
Witzig auch die Liebe der Einwohner, Schlange zu stehen. Es wird vor jedem Bus/Zug (einmal war der komplette Bahnsteig voller Warteschlangen) diszipliniert angestanden. Das ist wirklich vorbildlich, wenn aber dann das entsprechende Gefährt kommt, gibt es wieder ein Durcheinander.
Das ist für mich ein bisschen eine Bestätigung für meinen Ersteindruck:

Es sind wirklich sehr nette Menschen, jedoch ist alles hier manchmal sehr unstrukturiert und chaotisch. Am Rande: Die Streikfreude der Argentinier ist ungebrochen. Wir haben jetzt schon einige Demos gesehen. Manchmal läuft das auch sehr lustig ab:
Eine Gruppierung streikt oder demonstriert, dann schließt sich eine nächste Gruppe an und so geht das weiter. Es ist eine farbenfrohe und laute Angelegenheit. Am Donnerstag soll wohl auf dem Hauptplatz Plaza de Mayo Streiktag sein. Ob das so ist, konnte ich bislang nicht herausfinden.
Zusätzlich mischt sich noch ein anderer Eindruck hinzu:

Buenos Aires ist für mich eine Stadt der Extreme. Hier liegen Reichtum und Armenviertel nahe beieinander. Überall in der Stadt sind Obdachlose und sehr viele Kinder betteln nahezu überall. Es ist schon eine sehr sehr krasse Erfahrung, Kinder betteln zu sehen, statt dass sie in eine Schule gehen würden. Man kommt oft ins Nachdenken und zweifelt einfach auch an der eigenen Heimat. Wir leben in Deutschland auf einem so wahnsinnig hohen Standard. Das wird einem erst klar, wenn man so viel Elend sieht. Wir fahren immer mit dem Zug oder auch einmal mit Günter an einem Armenviertel vorbei. Es besteht aus Wellblechhütten, Kartonhäusern, Decklaken,…Was soll man denken, wenn Cartoneros (diese sammeln tagsüber und nachts Müll ein und geben diesen dann in einer Verbrennungsanlage für einen Minilohn ab) neben einer E-Klasse ihren Anhänger per Hand ziehen?
Es ist für mich unglaublich zynisch und verletzend, wie wenig tatsächlich die Politik national und international bewegt. Wieso gehen nicht einmal die Staatsführer, die sich abgegrenzt in Heiligendamm “beraten” haben, in ein Armenviertel?

Ich bin mal gespannt, wie sich diese Sicht in diesem Jahr entwickelt.
Mit diesen Eindrücken beende ich den ersten Eintrag,
viele liebe Grüße
Johannes

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