Liebe Familie/Spender/Freunde!
Nach geraumer Zeit wieder ein Lebenszeichen aus der 12000 km entfernten neuen Heimat:
Ein Gesetz in Argentinien von 2007, das beinhaltet, dass keine Kinder mehr rund um die Uhr im Heim leben dürfen, bereitet meinem Projekt hier viele Sorgen:
So trafen sich letzte Woche Vertreter von der Kirche und des Heims, um die Frage zu diskutieren, ob das Heim nun geschlossen werden soll oder nicht! Das war für mich ein großer Schock, denn ich hatte davor die Tragweite nicht erahnen können.Fakt ist: Es arbeiten hier neben unserem Chef fünf Angestellte, und das für 16 Kinder und die Landwirtschaft. Dieses Konzept ging nicht mehr auf. Es waren viele Optionen möglich: Mitarbeiter entlassen, Heim schließen oder das Heim als Kindertagesstätte vergrößern,…! Für uns Volontäre war der ganze Prozess so nicht erkennbar gewesen, denn viele Dinge hatten sich langsam angebahnt und haben schon vor unserer Zeit begonnen.
Letztendlich wurde beschlossen, dass das Heim am 1. März (4 Wochen später als geplant) öffnen soll! Ich bin sehr froh über diese Entscheidung! Alle Angestellten bleiben, und es sollen wesentlich mehr Kinder zukünftig betreut werden. Wir müssen allerdings wieder das verloren gegangene Vertrauen bei den Einwohnern in Urdinarrain erlangen.
Spenden für das Heim sind wichtiger denn je. Wer spenden will, der möge sich bitte bei mir melden, ich leite dann alles Weitere in die Wege!
Statt den geplanten vier Wochen Sommerpause sind es nun acht geworden! Das beinhaltet viel Freizeit. Jedoch muss ich hinzufügen, dass ich bei den hohen Temperaturen und dieser Luftfeuchtigkeit froh bin, nicht ständig arbeiten zu müssen. Von ein Uhr bis vier Uhr haben keine Läden offen, alles ist wie ausgestorben! Eben so, wie ich es von heißen südlichen Ländern her kenne.
In den Ferien konnte ich leider nicht viel reisen, denn meine Mutter und meine Freunde können erst zu einem späteren Zeitpunkt anreisen. Trotzdem fuhr ich mit Esteban über unsere Geburtstage (24., 25.) hinweg an die Atlantikküste in die Nähe von Mar del Plata, nach Villa Gesell. Wir konnten dort umsonst in einem Haus nahe dem Strand wohnen. Es war für mich ein besonderes Erlebnis, im Meer im Januar baden zu können! Jeden Tag hing die Fahne mit der höchsten Gefahr am Mast, das bedeutete hohe Wellen und viel Wind! Verbunden mit einer starken Seitwärtsströmung war es doch etwas Besonderes, sich ins Wasser zu werfen.
Am 3. Januar hieß es dann: Aufbruch zum Zwischenseminar aller Volontäre der IERP (Iglesia Rio de la Plata).Nach sechs Monaten sah ich endlich wieder meine alten Freunde vom ersten Seminar in Buenos Aires. Wir fuhren 12 h mit dem Bus nach Eldorado (übersetzt „das Paradies“) in den Norden. Die Busfahrten in Argentinien sind unvorstellbar bequem; man bekommt von Kaffee bis Whisky, Kopfkissen und Decke den höchsten Komfort geliefert! Das passt irgendwie nicht in dieses Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt!
Angekommen, gab es freudige Begegnungen, denn man hatte sich viel zu erzählen! Wir waren in einem ehemaligen Internatsgebäude mit Pool, am Rande des Urwalds, untergebracht. In jener Woche diskutierten wir über unsere Erlebnisse in den Projekten, über die Zukunft, und die noch vor uns liegende Zeit. Auch über die komplexe Thematik der Armut.
Mich beschäftigt auch noch nach dem Seminar diese Thematik sehr! Was ich während des Seminars von Volontären, die speziell in Buenos Aires arbeiten, gehört habe, war für mich wirklich erschreckend:
Manche arbeiten im oder am Rande einer so genannten „Villa“ (Elendsviertel). Ein Ort an dem tägliche Gewalt und Schießereien wohl zum Alltag gehören; ein Ort an dem Vergewaltigungen und Überfälle zum Alltag gehören; ein Ort an dem Drogen und Korruption zum Alltag gehören; ein Ort an dem sich jeden Tag neue unvorstellbare Sachen abspielen: Polizisten die Drogen verkaufen, eine Mafia die Geschäfte regelt. Angst umgibt Menschen bei Tag und Nacht!
Es sind unvorstellbare menschliche Schicksale, die uns Volontäre beschäftigen. Wir hoffen, dass wir durch die vielen Erlebnisse nicht abstumpfen, sondern sensibel bleiben für die Nöte der Menschen. In jungen Jahren entdecken wir hier die Schatten einer sonst so schillernden, glänzenden Welt.
Unsere vielleicht etwas „naive“ Vorstellung, mit der wir hier einst begonnen haben zu arbeiten, lässt manchmal ein leises Ohnmachtsgefühl aufkommen. Diese Armut kann man nicht von jetzt auf nachher beseitigen. Es bedarf langer und konsequenter Arbeit und viel mitmenschlicher Bemühung.
Wenn ich zusätlich erkenne, dass der Staat Gelder kürzt und damit auch Heime geschlossen werden m ü s s e n,…!!!
Die Theodizee-Frage beschäftigt mich in diesem Zusammenhang sehr: Wo ist bei all dem denn Gott? Der transzendente Gott scheint uns doch oft so verborgen. – Und doch ist er da. Erkennbar für mich, durch die vielen kleinen Puzzlesteine, die jedes Jahr unzählige Menschen durch Spenden, aktive Mithilfe und Beistand leisten und damit etwas zum Entstehen bringen.Unsere Aufgabe wird in Deutschland auch mit darin bestehen, gerade über diese Erlebnisse zu berichten.
An dieser Stelle möchte ich mich bei dem Gustav-Adolf-Werk und meinem Spenderkreis bedanken, dass sie mir ermöglicht haben, so vielfältige Lebenserfahrungen hier machen zu können.
Bedanken möchte ich mich auch bei Jorge und Günther Kreher, die uns hier in Argentinien bestens begleiten und mit ihrer großen Hilfsbereitschaft zum Gelingen beitragen.
Eine Exkursion war das absolute Highlight des Seminars: Die Fahrt zu den berühmten Iguazu Wasserfällen!
Diese kann man aufgrund ihrer Größe sowohl in Brasilien wie auch in Argentinien bestaunen. Es gab an diesem Tag zwei Gruppen. Eine Gruppe, die sich nur auf argentinischen Pfaden den Fällen nähern wollte. Die andere Gruppe wollte die Wasserfälle sowohl auf der argentinischen, wie auch von der brasilianischen Seite aus erleben. Ich war bei der letzteren Gruppe, denn ich und einige andere mussten dringend wieder unser Touristenvisum verlängern lassen, das eben immer nur drei Monate gültig ist.
So erlebten wir gleich zu Beginn eine irre Taxifahrt. Acht Personen und der Fahrer in einem normalen Pkw fuhren über die brasilianische Grenze. Der Taxifahrer machte daraus ein Spiel. Er wusste, sein Auto hatte getönte Scheiben. Immer, wenn wir an einer Polizeikontrolle vorbeifuhren, die es relativ zahlreich gibt,J, machte er die Scheiben hoch, dann wieder herunter, hoch..
Die brasilianische Seite ist von den Wasserfällen eher weiter entfernt. Man hat allerdings einen wunderbaren Panoramablick. Leider waren wir nicht die einzigen, denn viele Touristen wollten ebenso das Naturschauspiel bestaunen. Auch begegneten wir gewitzten Nasenbären, die schon das eine oder andere gestohlen haben :-)! Gegen Mittag sind wir dann auf die argentinische Seite gegangen. Sie war für mich weitaus beeindruckender: Unglaubliche Nähe zu dem tosenden Naturwunder.
Erschöpft von den vielen Eindrücken und den endlosen Wegen ging es dann wieder in unsere Herberge. Es war ein klasse Tag, den wir immer in besonderer Erinnerung tragen werden.
Überhaupt ist der Nordosten von Argentinien wunderschön: Rote Erde, verbunden mit einer unglaublichen Vegetation. Überall sieht man Hügel und Urwald. Neben den vielen Tieren gibt es eine tolle Vielfalt an Früchten: Orangen, Limetten, Melonen, Bananen. Für mich war es ein Paradies!
Nun, wieder zurück in Urdinarrain, wollen wir mit neuer Motivation in das nächste halbe Jahr starten!
Viele liebe und sonnige Grüße,
Johannes!